Lisa Jani ist Richterin in Berlin. Ihr Amt übt sie aber selten aus, denn ihre Leidenschaft scheint anderswo zu liegen.
Lisa Jani arbeitet als „Pressesprecherin der Berliner Strafgerichte“. So stellte sie sich selbst vor, am 25. Mai dieses Jahres. Da drängten sich gut 30 Menschen dicht an dicht durch die Anbau-Flure des Amtsgerichts Tiergarten. Sie alle wollten einem Strafprozess beiwohnen. Ein Großteil von ihnen Pressevertreter. Angeklagt war der Autor dieses Textes – wegen Verwendung „verfassungsfeindlicher Kennzeichen“.
Zur Verhandlung vorgesehen hatte das Gericht – trotz wochenlanger Ankündigung eines Presseandrangs – einen seiner kleinsten Säle, den mit der Nummer 1002 und mit ganzen acht Zuschauerplätzen. Einen dieser Plätze, das machte sie lautstark deutlich, würde Lisa Jani über die gesamte Zeit des Verfahrens selbst belegen. Die übrigen würde sie, und nur sie, nach ihrem eigenen Ermessen an die Besucher vergeben. Diese Ansage machte Jani, als sie vor der Tür des Saales 1002 stand, umringt von sechs Justizwachtmeistern. Vom Gedränge der Zuschauermenge trennten Jani nicht nur die Wachtmeister, eine Brandschutztür und zwei Meter Luftlinie. Lisa Jani hob sich auch mit einer sogfältig zusammengestellten Garderobe von allen anderen ab. Als einzige Person im ganzen Gebäude trug sie ein sogenanntes „Filtering Face Piece“ der Kategorie 2, eine FFP2-„Maske“, keck bedruckt mit Leopardenmuster. Dazu rote Stilettos und einen knappen Wickelrock. So kostümiert stand Lisa Jani da. Die Maskierung muss es auch gewesen sein, die ihr den Blick auf den Angeklagten versperrten. Er wurde als einzig anwesender „Zivilist“ in diesem Moment Zeuge ihrer Anweisungen. „Reingelassen“, bellte Jani mit dem Rücken zu den Uniformierten, „werden nur echte Journalisten mit gültigem Presseausweis!“.
Mir entfuhr die Frage, was denn ein „echter“ Journalist sei und woran ein „gültiger“ Presseausweis zu erkennen sei. Das Grundgesetz sehe schließlich als Lehre aus der Nazidiktatur vor, dass jedermann als Journalist arbeiten können muss und für seine Arbeit ausdrücklich keinerlei „Ausweis“ oder Genehmigung braucht. Es mag dem Rausch ihrer Leidenschaft geschuldet gewesen sein, dass Jani wie aus der Pistole geschossen antwortete: „Nur bundeseinheitliche Presseausweise sind gültig!“. Dann erst wandte sich ihr Kopf in meine Richtung. „Wer sind Sie überhaupt?“.
„Der Angeklagte“, antworte ich der Frau Richterin wahrheitsgemäß und schob die Frage nach, wie sie ihre Anweisung mit der Eindeutigkeit des Grundgesetzes und geltendem Presserecht in Deckung bringe. Aus meiner Sicht hatte sie mit ihrer Anweisung an die Justizbeamten beide in eklatanter Weise gebrochen. So schnell, wie sie zuerst antwortete, wandte sie den Kopf wieder ab.
„Das werde ich mit Ihnen nicht diskutieren!“. Ihre Leo-Maske pulsierte unter erbostem Schnaufen. Richterin Jani entschwand in den Saal und schloss die Türe hinter sich mit einem Knall. Was diesem Auftritt folgte, blieb in jeder Hinsicht eine Posse. Lisa Jani präsidierte während der gesamten Verhandlung über die wenigen Zuschauer; unter ihnen ganze zwei Pressevertreter. Der vorsitzenden Richterin Groß, dem Gesetz nach die eigentliche Chefin im Ring, fuhr Jani nach Belieben über den Mund und machte ihr auch mit der eigenen Platzwahl deutlich, was sie von Gesetzen hielt. Denn nicht etwa bei den Zuschauern bezog Jani Position, so wie es die Rechtsordnung vorsieht. Stattdessen ließ sie sich von den Wachtmeistern Tisch und Stuhl dort aufbauen, wo sie sich selbst vermutlich ohnehin sah: bei der Anklage, unmittelbar neben der Staatsanwältin. Von dort aus kommentierte Jani – ohne ihre Maske je zu lüften – mit Augenrollen und Atemstößen die Vorträge der Prozessbeteiligten. Die unterbrach sie immer wieder nach Belieben mit Ermahnungen in Richtung der Zuschauer, beispielsweise das Tippen auf Mobiltelefonen zu unterlassen. Sie selbst machte derweil genau das, immer und immer wieder. Alles an diesem Tag sollte den Beobachtern wohl zeigen, welche Bedeutung Gesetze bei Richtern wie Lisa Jani noch haben.
Als die unter Jani vorsitzende Jungrichterin endlich ihren Schuldspruch verkündete, trat links und rechts neben der Leopardenmaske ein breites Grinsen hervor*. Lisa Janis Stimmung wird ihre Gewissheit keinen Abbruch getan haben, dass dieses Urteil einer übergeordneten Instanz zur Prüfung vorgelegt werden wird. Und das wohl mit Recht. Denn die Existenz einer Richterin wie Lisa Jani macht deutlich, dass dieser Staat nicht einmal mehr auf den Anschein wert legt, einer des Rechtes zu sein.
Seine Richter und Staatsanwälte brechen wie Richterin Jani jeden Tag und in aller Offenheit systematisch und mit Vorsatz ersten Grades unser Recht – von der Verfassung bis runter zur Verordnung. Unter den Mitläufern der Parteienkorruption in Staatsanwaltschaften und Gerichten finden sich nicht einmal genug, wenigstens der Gruppe zahmer Zauderer des sogenannten „Netzwerks kritischer Richter und Staatsanwälte (KRiStA)“ zu relevanter Größe zu verhelfen. Unsere Richter und Staatsanwälte, scheint es, haben unsere Grundrechte mehrheitlich aufgegeben.
* Der Schuldspruch wurde vom Landgericht Berlin als Berufungsinstanz am 29.8.2023 wieder aufgehoben und das Verfahren eingestellt.
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